Stellungnahme des DGA-Vorstands zur Lage der Asienforschung in Deutschland

Share:

veröffentlicht: 2021-06-19

Die interdependente Verflechtung der Weltregionen schreitet weiter voran – und zugleich vergrößern sich in der allgemeinen wie auch in der politischen Debatte Spannungen und Abgrenzungstendenzen. Zudem zeichnet sich eine Wiederkehr gefährlicher stereotyper Kategorisierungsmuster und holzschnittartiger Weltordnungsmodelle ab. Daneben finden regional wie auch global Strukturverschiebungen statt, die Implikationen für die Wissenschaft, die Forschungs- und Meinungsfreiheit von Forschungsinstitutionen wie auch von individuellen Wissenschaftler*innen entfaltet haben.

Als fachwissenschaftliche Vereinigung der zu den Ländern der Region Asien mit all ihren zahlreichen Facetten forschenden und lehrenden Wissenschaftler*innen verfolgt die Deutsche Gesellschaft für Asienkunde diese Entwicklung mit Besorgnis, so auch insbesondere vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Macht- und Systemkonflikts zwischen den USA und der VR China und der Regimetransformationen („democratic backsliding“/ „democratic regression“) in Teilen Südostasiens – Entwicklungen, die auch von Europa (und Deutschland) eine Positionsneubestimmung erfordern. Eine solche Positionsbestimmung setzt eine kritische, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Asien voraus. Dem Prinzip der Wissenschaftsfreiheit und der Meinungspluralität verpflichtet, ruft die DGA dazu auf, bei diesen Positionierungsprozessen auch auf die Expertise der fachwissenschaftlichen Vereinigungen zurückzugreifen, deren Mitglieder die jeweiligen Länder und Regionen seit Jahren erforschen und über die hierzu erforderlichen Sprach- und Analysekompetenzen verfügen. Die Wissenschaft hat eine Bringschuld gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit wie auch der Wirtschaft und Politik.

Die DGA vereint in sich eine Vielfalt von Fächern und Disziplinen, die sowohl der Gruppe der sogenannten Kleinen Fächer im Verständnis des BMBF als auch der sogenannten Großdisziplinen zugeordnet werden können. In dieser Weise bildet die Gesellschaft genau die interdisziplinäre Vernetzung ab, die in der Wissenschaft gefordert wird, die Asien spezifisch und ganzheitlich in den Blick nimmt, und die kompetent an der öffentlichen und politischen Diskussion teilnehmen kann. Das fruchtbare Zusammenwirken in der DGA zeigt die konjunkturenunabhängige Relevanz gegenwärtiger und historischer Asienforschung in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.
Die Pluralität der Stimmen in und über Asien hörbar werden zu lassen und dogmatischen Freund-Feind-Bildern entgegenzutreten, ist ein Kernanliegen der DGA und ihrer Mitglieder.

Zugleich geht es darum, den fachwissenschaftlichen Austausch und Dialog mit den Ländern Asiens gerade in Zeiten politischer Turbulenzen und Umbruchphasen aufrechtzuerhalten. Mit Sorge beobachtet der DGA-Vorstand Tendenzen der Selbstzensur und der politisch motivierten Einflussnahme auf die Ausrichtung wissenschaftlicher Arbeit und auf die Meinungsvielfalt in Deutschland – aber auch in Teilen der von der DGA erforschten Region Asien. Die DGA appelliert an alle Seiten, Polarisierungstendenzen frühzeitig entgegenzuwirken, und setzt sich für den offenen, kritisch-analytischen Austausch und die Forschungskooperation mit Wissenschaftler*innen und Forschungseinrichtungen in Asien ein – und für eine theoriegeleitete, empirisch fundierte Forschung, die sich nicht politisch opportun an kurzfristigen Stimmungsbildern ausrichtet, sondern den Prinzipien der Grundlagenforschung verschrieben ist. Um den Austausch mit und zu Asien zu fördern, richtet die DGA Tagungen aus und plant zusätzliche Vortragsreihen zu aktuellen Brennpunktthemen. Dabei sollen keine anwendungsbezogenen Handlungsempfehlungen kommuniziert werden, vielmehr geht es darum, in langfristigen Dimensionen zu denken und Wissen aus und über die Region systematisch strukturiert und theoriebasiert darzulegen. Grundlagenforschung und analytische Betrachtungen sind der zentrale Beitrag der DGA-Mitglieder zu den aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten. Punktuelle Ereignisse sollten nicht vorschnell als Abkehr vom bisherigen status quo der Weltpolitik und Weltwirtschaft gewertet werden. Die Auseinandersetzung mit Asien setzt dabei immer auch eine Kontemplation der eigenen Identität und Standpunkte voraus – die sich in den Betrachtungen des Gegenübers (also beispielsweise dem europäischen Blick auf Asien) widerspiegeln und deutliche Bezüge zur Verankerung des*der Betrachter*in in Raum und Zeit aufweisen. Sich ein eigenes Bild von den hochkomplexen innenpolitischen, regionalen Entwicklungen in Asien sowie ihren möglichen globalen Implikationen zu machen, ist in Zeiten global interdependenter Prozesse unverzichtbar. Einen Rückfall in die Zeiten des Systemantagonismus des Kalten Krieges und die Veräußerung der Werte der Aufklärung gilt es deshalb unbedingt zu vermeiden. Mit großer Bestürzung verfolgt die DGA die aktuellen Debatten über mögliche Einsparungen von Stellen im Bereich der Asienforschung. Gerade in Anbetracht der sich zuspitzenden Antagonismen und Spannungen in und mit der Region und den Ländern Asiens sind Kenntnisse der komplexen Entwicklungen vor Ort, der historischen und kulturellen Grundlagen der betroffenen Länder und Teilregionen Asiens unverzichtbar. Kurzfristige Kürzungen und Streichungen könnten langfristig schwerwiegende Auswirkungen entfalten, denn die vergangenen Jahre haben bereits gezeigt, dass langfristig gewachsene Forschungsstrukturen – einmal zusammengekürzt oder stark geschwächt – sich nicht bei Bedarf auf Knopfdruck wiederbeleben lassen.